Die Legende der Weidenkätzchen
Einer alten polnischen Legende zufolge weinte vor vielen Frühlingszeiten eine Mutterkatze am Ufer des Flusses, in dem ihre Kätzchen ertranken. Die Weiden am Flussufer sehnten sich danach, ihr zu helfen, und so fegten sie ihre langen, anmutigen Zweige ins Wasser, um die winzigen Kätzchen zu retten, die bei der Jagd nach Schmetterlingen in den Fluss gefallen waren. Die Kätzchen hielten sich an ihren Zweigen fest und wurden sicher ans Ufer gebracht. Seitdem, so die Legende, sprießen die Weidenzweige jeden Frühling an ihren Spitzen, an denen sich einst die winzigen Kätzchen festhielten, aus winzigen pelzartigen Knospen.
Zum Bild sehe ich die Russin котики весна (Kotiki Vesna) ist aber nicht verbrieft
DER GELBE LÖWENZAHN UND SEIN BALLKLEID
Die Geschichte von Suncana Skrinjaric - Kroatische Buchautorin
Jedes Jahr organisieren Blumen deren großen, prunkvollen Ball und Tanzen bis zum Morgengrauen. In dieser Nacht leuchten die Sterne heller als sonst. Die kleinen Glühwürmchen machen ihre Lampions an und leuchten auf den Sträuchern um die Wette. Von den fernen einsamen Lichtungen hört man das liebliche Lied der Nachtigall. Die Mäuse sind Mitglieder eines Pop-Orchesters und das Eichhörnchen spielt die große Trommel.
Das passiert jedes Jahr zur gleichen Zeit. Nur wir Menschen bekommen es nicht mit, zur welcher Zeit und an welchen Ort, denn die Blumen sind geheimnisvoll… Ihr wisst es selbst, dass die Blumen nicht sprechen…
Allerdings erfährt man alles Mögliche von den Schmetterlingen und den plappernden Hummeln, diesen leidenschaftlichen Blumenliebhabern. Sie kommen auch zu diesen Jahresball und kühlen die müden Tänzer mit deren Flügeln wie mit einem bunten Fächer.
Diese Geschichte wurde einem kleinen Jungen erzählt, der alle Blumen und Tiere geliebt hat. Er hat nie die Blütenblätter gerupft und hat nie seine alte Katze an den Schwanz gezogen. Er war einfach lieb und brav. Die Tiere und Pflanzen lieben Kinder und verraten ihnen über deren Leben und Vorhaben mehr als den anderen.
Das ganze Jahr über bereiten sich die Blumen für diesen Tanz. Sie schneidern bunte Kleider, zarten Schmuck und fantasievolle Mützen. Die Schmetterlinge bringen bunte Muster aus fernen Länder auf deren Flügel mit.
Die Rose – diese wunderschöne Blume – kleidet sich in zarte, bunte Kleider und taucht ihre Blütenblätter in süßesten Düfte die man sich vorstellen kann. Die blauäugigen Vergissmeinnicht ziehen deren blauen Kleidchen und grüne Regenmäntelchen an. Das Veilchen trägt anmutig ihr elegantes Kleid und das Schneeglöckchen kommt ganz in Weiß wie eine Fee oder eine junge Braut zum Ball. Die schlanken Hyazinthen tanzen mit scheuen Orchideen und der duftende Flieder mit feurigen Tulpen. Die blasse Seerose von der Seemitte lädt ihre beste Freundin die Schwertlilie ein.
Ihr kennt mit Sicherheit alle diese Blumen: die Schneeglöckchen und Veilchen habt ihr in den Wäldern gepflückt, die Rosen auf dem Markt als Geburtstagsgeschenk gekauft und der Flieder hat vielleicht in euren Glasvasen seinen Duft verströmt.
Es gibt aber eine Blume welche du in keinem Blumenladen findest und welche du auf keine Wiese pflückst. Sie duftet nicht gut und die Gärtner mögen sie überhaupt nicht. Die Menschen treten auf sie drauf und sagen: - das ist der Löwenzahn, langweiliges Unkraut.
Trotzdem hat der Löwenzahn, bei dem Jahresball, das schönste Kleid getragen. Keine andere Blume, nicht mal die Rose, war so hübsch wie das bescheidene Blümchen aus dem Straßengraben.
Eines Jahres passierte das. Ich weiß nicht in welchem Jahr, denn im Leben der Blumen erneuert sich alles immer wieder. Die Blumen zählen deren Jahre nicht so wie wir Menschen es tun und sie benutzen einen ganz anderen Kalender als wir.
Es wurde genäht und gebastelt für den prunkvollen Ball. Jede Blume war freudig aufgeregt, die Sonne strahlte, der Himmel war blau und plan wie eine Glasplatte. In dem Straßengraben weinte der Löwenzahn bitter seine weißen Tränen in seinem hässlichen und mit Füßen getretenen Rock. In so einem Kleid könnte er niemals zum Ball gehen. Es war keiner da der ihn helfen konnte. Nur ein Marienkäfer hat sein trauriges Schluchzen gehört und gefragt:
- Warum weinst du? Alle freuen sich und nur du bist traurig. Erzähl mir dein Kummer, vielleicht kann ich dir ein Rat geben.
Der Löwenzahn weinte herzzerreißend:
- Mein Kleid ist von Füßen zertreten, ich dufte nicht wie eine Rose oder ein Flieder, ich bin nicht blau wie ein Vergissmeinnicht und habe keine stolze Haltung wie eine Hyazinthe. Schon Morgen ist der Ball. Ich will nicht der hässlichste sein.
Der Marienkäfer dachte nach. Er ist alt und Weise, reist überall hin und kennt jeden. Er dachte und dachte konnte aber dem kleinen Löwenzahn auch nicht helfen. Er sagte nur:
- Ich werde alle Insekten versammeln und sie Fragen. Einer wird sicherlich wissen was zu tun ist.
So kamen die immer beschäftigten Ameisen, die Glühwürmchen aus der Nachtschicht, Schmetterlinge, Hummeln und Bienen, Grillen und Ohrenzwicker und sogar eine Stinkewanze. Sie kamen alle, aber keiner konnte dem kleinen Löwenzahn helfen. Der kleine Löwenzahn weinte traurig und schlief vor Kummer ein. Er träumte von dem Ball, von einem schönsten Kleid und von dem fröhlichen Nachtigall-Gesang. Zumindest im Schlaf war er zufrieden.
Im gleichen Graben, aber auf einer erhöhten Stelle, zwischen abgestorbenen Zweigen und Müll, wohnte eine alte, sehr hässliche Spinne. In ihrem Leben war sie nie anständig. Sie war Henkerin der armen Mücken die in ihr Netz flogen. Sie war hinterhältig und gemein, so lebte sie ihr Einsiedler-Leben. Das war der Grund wieso sie nie zu den Versammlungen der Insekten eingeladen wurde.
Diese eine Nacht war so schön und klar. Der Mond zeigte sein ganzes dickes Gesicht. Die alte Spinne fühlte sich unglücklich und einsam. Sie fühlte den Tod immer näher, das Ende wird bald kommen. Sie dachte zurück und stellte fest, dass sie nie jemanden geliebt und niemanden Freude geschenkt hat. Sie verursachte nur Trauer und Schmerz.
Sie blickte auf den kleinen schlafenden und traurigen Löwenzahn nieder und dachte vor sich hin:
- Ich werde nur für dich ein Kleid weben, das zart und leicht, wie der feinste Spinnenfaden ist. Durchsichtig und leicht aus kostbarsten Fasern. Ein Kleid das keine andere Blume hat. Ich werde dir Freude bringen, so wird es für mich einfacher dem Tod zu begegnen. Es fühlt sich zu schwer an, die Welt zu verlassen, in Gewissheit dass dich niemand geliebt hat.
Die alte Spinne machte sich, voller Eifer, an die Arbeit. Die ganze Nacht hat sie feinste Fäden gesponnen und in Morgengrauen war das Kleid fertig. Die Spinne übergab das fertige Kleid dem kleinen Löwenzahn. Er wusste nicht wohin vor Glück und öffnete ganz weit seine gelben Blütenblätter.
Der kleine Löwenzahn zog sein Kleid an. Es war zart wie eine sanfte Briese. Die alte Spinne hat ihr all ihr geheimes Können in das Kleid eingewebt und starb glücklich und stolz, denn der kleine Löwenzahn war wunderschön. Alle mussten ihn bewundern.
In seinem neuen Kleid aus feinstem Spinnengewebe ging der kleine Löwenzahn zum Ball. Alle haben sein Kleid bewundert. Das war das schönste und wundersamste Kleid in welches die alte Spinne die ganze Liebe aus den Tiefen ihren harten Herzen eingewebt hat. Der kleine Löwenzahn tanzte viel und mit jedem und war überglücklich. Die Musik war verführerisch. Alle Tiere haben sich beruhigt und lauschten dem Nachtigall-Gesang. Sogar die ganz kleinen Kinder in deren Wiegen hörten auf zu weinen. Der kleine Löwenzahn strahlte vor Glück. Er grüßte die Schmetterlinge und redete mit den Hummeln. In edler Gesellschaft mit dem Jasmin und der Schwertlilie streichelte er die blassen Mondlichtstrahlen welche alle Blumen auf der Wiese, in dieser verzauberten und unvergesslichen Nacht, zart beleuchteten.
Am nächsten Tag war alles wieder wie immer. Nur der kleine Löwenzahn träumte immer noch vom großen Glück in der vergangenen Nacht. Ein verspielter Junge pustete in sein zartes Tanzkleidchen. Das Kleid löste sich in alle Himmelsrichtungen auf und flog weit weg.
Seit dieser Nacht, jedes Jahr am Tag vor dem großen Ball, ziehen die kleinen Löwenzahnblüten deren leichte Kleidchen aus Spinnenweben an und tanzen glücklich die ganze Nacht lang.
Im nächsten Frühjahr, auf der gleichen Wiese, sprossen duzend neue kleine Löwenzahnblümchen. Sie gingen auch zum großen Blumenball. So wiederholt sich diese Geschichte von Jahr zu Jahr zur selben Zeit.
DU BIST NIE ALLEINE
Es gibt eine alte Legende der Cherokee Indianer. Diese erzählt von einem Initiationsritus bei welchen ein Junge in die Welt der Erwachsenen aufgenommen wird.
Der Vater bringt seinen Sohn in den Wald. Dabei verbindet er ihm die Augen mit einem Tuch und platziert ihn auf ein Baumstumpf. Dort wird der Junge alleine gelassen.
Es wird erwartet, dass der Junge die ganze Nacht ruhig auf diesem Baumstumpf sitzen bleibt und die Augenbinde erst dann abnimmt, wenn er die ersten Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht verspürt. Er dürfte weder weinen noch zur Hilfe rufen. Wenn er diese Nacht überlebt, wird er ein Mann.
Nach so einer Nacht war es dem Jungen, der die Prüfung überstanden hat, strengst verboten mit den anderen über seine Erfahrung zu sprechen. Das war auch verständlich, denn jeder von ihnen musste auf seiner eigenen Art und Weise erwachsen werden.
Dieser Junge, wir nennen ihn Adahy (in Cherokee Sprache: der der in den Wälder lebt), war sehr nervös und angespannt. Um sich herum konnte er alle möglichen Geräusche hören. Er hörte wilde Tiere, diverse Vögel und sogar Menschenstimmen. Alle diese Geschöpfe könnten ihn verletzen oder sogar umbringen. Der Wind wehte laut rauschend um sein Körper herum und er spürte die Grashalme und Sand die in sein Gesicht schlugen. Trotz seinem Unbehagen, ertrug der junge Adahy alle diese Qualen mutig und stumm. Er war es sich dessen bewusst, dass dies der einzige Weg war als Erwachsene anerkannt zu werden.
Endlich nahm das schreckliche Nacht ein Ende. Die Vögel kündigten den Morgen lauthals an und endlich verspürte er die Sonnenstrahlen in seinem Gesicht. Er durfte die Augenbinde abnehmen. Blinzelnd schaute er sich um und erblickte das stolze Lächeln im Gesicht seines Vaters. Sein Vater saß die ganze Nacht reglos neben ihm auf einem anderen Baumstumpf um seinen Sohn zu beschützen, falls eine Gefahr drohen würde.
Der Adahy war kein Junge mehr. In dieser eine Nacht gewann er viele Erkenntnisse über das Leben, über die Gesellschaft zu welche er gehörte und über familiären Zusammenhalt, was ihn zum einen Erwachsenen machte. In dieser eine Nacht lernte er, dass du nie alleine bist und nie im Stich gelassen wirst. Diese Erkenntnis gab er an seine Söhne weiter, wenn die Zeit dazu kam.
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